Seit 20 Jahren findet jedes Jahr zum Ende des Ramadan der internationale Quds-Marsch auch in Berlin statt. In diesem Jahr werfen die Verstrickungen der Antisemit*innen rund um den Al Quds-Tag bereits im Vorfeld ihre Schatten: Bei einem vom „Refugee Club Impulse“ (RCI) mitorganisierten so genannten „Karneval der Geflüchteten“ lief ein Block mit, der von „F.O.R. Palestine“ („For One State and Return in Palestine“), dem Berliner Ableger der antisemitischen internationalen BDS Kampagne („Boykott, Desinvestition, Sanktionen“) und ihrem gewalttätigen Umfeld getragen wurde. Die „Intifada!“-Rufe sind mittlerweile immer zu hören, wenn diese Gruppierungen auf die Straße gehen.
Die Verantwortlichen vom RCI sind keine Unbekannten: Während Mitbegründer Ahmed Shah unter anderem die Hizbollah als „Stimme der Unterdrückten“ feiert und die Intifada in Form eines Theaterstückes in die Klassenzimmer trug, sind die künstlerische Leiterin Nadia Grassmann und die pädagogische Leiterin Maryam Grassmann seit Jahren aktiv am Quds-Marsch beteiligt. Hauptorganisator ist ihr Vater, Jürgen Grassmann, der 2012 auf einer Veranstaltung des neurechten Querfront-Magazines „Compact“ mit Jürgen Elsässer das Podium teilte. Halbgare Distanzierungsversuche auf der Pressekonferenz des RCI, bei der die Hizbollah als „umstritten“ verharmlost oder das Tragen von deren Symbolik als „Leichtsinn“ abgetan wurde, wie es Maryam Grassmann gegenüber der Berliner Morgenpost tat, sind ebenso lächerlich wie die Idee, dass der Antisemitismus der Beteiligten keinen Einfluss auf ihre Arbeit mit Geflüchteten hätte. Im Gegenteil: Shahs theaterpädagogische Arbeit wurde bereits in der Vergangenheit von Expert*innen des Netzwerks „Task Force: Education on Antisemitism“ deutlich verurteilt. Man kam zu dem Ergebnis, dass das Theaterprojekt bei der Zielgruppe „antisemitische Stereotype reproduziere und diese so bei den Jugendlichen verfestige, statt sie zu dekonstruieren“. Der Widerspruch, gleichzeitig Geflüchtete und die Hizbollah zu unterstützen, die durch ihre Beteiligung am syrischen Bürgerkrieg im Interesse des iranischen Regimes selbst ein Grund für die Flucht vieler Menschen ist, wird von den Beteiligten ignoriert.
Der RCI wurde für einen „Sonderpreis für kulturelle Projekte mit Flüchtlingen“ nominiert, mittlerweile wurde diese Nominierung zurückgezogen, denn auch der Senat möchte das Projekt nicht weiter unterstützen. Dass es überhaupt so weit kam, ist jedoch symbolisch für den ignoranten Umgang mit antisemitischen Umtrieben in Berlin. Wer Menschen wie Ahmed Shah und den Grassmann-Schwestern Raum gibt, darf sich sicher sein, dass dieser mit Antisemitismus gefüllt wird.
Diese Zusammenrottung antisemitischer Akteur*innen ist nicht überraschend – die Akzeptanz und das Schweigen darüber sind wie die Instrumentalisierung von notwendiger und wichtiger Arbeit für Geflüchtete hingegen untragbar. In diesem Jahr heißt es, gegen den Quds-Tag auf die Straße zu gehen und damit auch gegen all die antisemitischen Zusammenschlüsse zu kämpfen, die das Jahr über anderenorts agieren!

20 Jahre in Berlin: die Bedeutung des antisemitischen Al Quds-Tages

1979 von Ayatollah Khomeini, dem religiösen Führer der Islamischen Revolution im Iran, eingeführt, ist der Al Quds-Tag (Quds = arabisch für Jerusalem) ein weltweiter politischer Kampftag für die Eroberung Jerusalems und die Vernichtung Israels. In Berlin feiert man dieses Jahr 20-jähriges Jubiläum, der deutsche Ableger demonstrierte bis 1995 in Bonn, seit 1996 verlagerten sich die Proteste in die neue Hauptstadt. Er wird nicht nur als Tag des Widerstandes gegen Israel verstanden. Mit der Forderung, dass „die Unterdrückten“ sich ausgerechnet gegen den jüdischen Staat zur Wehr setzen sollen, steht der Al Quds-Tag in erster Linie in einer antisemitischen Tradition. Die Idee einer „jüdischen Weltverschwörung“, die für alle Übel der Welt verantwortlich sein soll, war bereits zentraler Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie. So kann die deutsch-iranische Kollaboration in den 30er und 40er Jahren auch kaum verwundern: Sie reichte von, für die arabisch und persisch sprechenden Zuhörer*innen zugeschnittener NS-Radiopropaganda bis hin zu florierenden Handelsbeziehungen, dabei ging beispielsweise fast die Hälfte der iranischen Exportgüter nach Deutschland.

Für die Islamische Republik Iran ist antisemitisches Verschwörungsdenken und Hass auf die Moderne seit der Gründung im Jahr 1979 der Dreh- und Angelpunkt der islamistischen Ideologie. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass unmittelbar nach der gewaltsamen islamischen Revolution der Quds-Marsch eingeführt wurde. Man glaubt an die eigene Überlegenheit, bekämpft ‚Andersgläubige‘ und verteufelt den Westen und individuelle Freiheiten. In diesem Denken stellen Jüdinnen*Juden die Personifizierung der Moderne dar, weswegen der Hass auf Israel und die Leugnung der Shoah ein tragendes Element der iranischen Führung bilden. Diese „weltanschauliche Botschaft“ beschränkt sich nicht auf den Iran, sondern soll laut iranischer Verfassung, in der man die „Ausbreitung der Herrschaft des Gottesgesetzes auf Erden“ fordert, auch exportiert werden. Der Antisemitismus des islamistischen Regimes wird immer wieder offen zur Schau getragen und so führte der oberste Rechtsgelehrte Ali Khamenei ausgerechnet am 9. November 2014 in neun Punkten aus, auf welche Weise Israel eliminiert werden müsse. Dazu gehört die Bewaffnung der Westbank nach dem Vorbild des Gaza-Streifens, ein Unterfangen bei dem der Iran seit 1979 ganz vorne mit dabei ist. Zusätzlich finanziert der Iran islamistischen Terror weltweit, so zum Beispiel die Hizbollah und die Hamas. Durch die militärische Unterstützung für Assad in Syrien starben Hunderttausende – und Millionen Menschen sind auf der Flucht.
Den Nuklear-Deal feierte Ali Khamenei im September 2015 mit den Worten „Israel wird die nächsten 25 Jahre nicht mehr erleben“ und auf Twitter verkündete er: „Bis dahin werden wir kämpfen, heroisch und mit der Moral des Jihad, um den Zionisten keinen Moment der Ruhe zu lassen“. Anfang März testete Rohanis Verteidigungsministerium zuletzt Mittelstreckenraketen mit der hebräischen und persischen Aufschrift „Israel muss ausgelöscht werden“. Erst Ende Mai wurde die Vernichtungsdrohung wieder einmal erneuert: „Wir können Israel in weniger als acht Minuten auslöschen“ erklärte ein hochrangiger Militärkommandeur. Die iranische Führung stellt auch weiterhin den Holocaust in Abrede und präsentiert Holocaust-Leugner*innen als Verteidiger*innen der Meinungsfreiheit wie beispielsweise beim Holocaust Cartoon Wettbewerb, der am 14.5.2016, nicht zufällig zum Jahrestag der Gründung Israels, eröffnet wurde.

Aber damit nicht genug: Seit der islamischen Revolution 1979 wird die eigene Bevölkerung terrorisiert, Frauen* werden brutal unterdrückt und es gibt Sittenwächter, die das korrekte Tragen des Kopftuchs kontrollieren. Homosexualität steht unter Todesstrafe, nicht selten sind unter den Gehängten Minderjährige. Gewerkschafter*innen, Menschenrechtsaktivist*innen, Angehörige religiöser und anderer Minderheiten wie z.B. die Bahai und Jesid*innen werden bedroht, politische Gegner*innen werden inhaftiert und Folter ist noch immer an der Tagesordnung.
Präsident Hassan Rohani ist im Gegensatz zur öffentlichen Darstellung, die etabliert wurde, um den Atom-Deal durchzusetzen, kein „moderater Hoffnungsträger“, sondern das freundliche Gesicht des Terrors. Seit Beginn seiner Präsidentschaft werden im Iran deutlich mehr Menschen hingerichtet als unter seinem Vorgänger Ahmadinejad. So gab es im letzten Jahr laut Amnesty International mindestens 977 Hinrichtungen, dies ist weltweit die höchste Zahl an Hinrichtungen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung.
Auch hier in Berlin ist man ganz auf der Linie des iranischen Regimes, die Organisator*innen des Quds-Tages kommen aus dem Umfeld der Hizbollah und die Redner*innen decken das weite Feld des Israelhasses ab: von dem linken selbsternannten „Journalisten“ Martin Lejeune und dem Truther Christoph Hörstel, über die antizionistische Sekte „Neturei Karta“, bis hin zu Vertreter*innen der AKP-nahen BIG-Partei oder der UISAE (Union of Islamic Student Associations in Europe). Unter Bildern von Khomeini und den Flaggen der Hizbollah und Palästinas tragen Jahr für Jahr Menschen ihren Antisemitismus und Hass auf Israel auf die Straße.

Deutschland, deine Antisemit*innen!

Im Jahr 2015 wurden von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) 401 antisemitische Vorfälle in Berlin gezählt, was mehr als ein antisemitischer Angriff pro Tag ist und davon bereits die Fälle ausgenommen, die weder bei der Polizei noch bei RIAS gemeldet wurden. Deutschland hat ein Antisemitismus-Problem, das weder erst seit gestern besteht noch importiert wurde. Der deutsche Antisemitismus fand seinen Höhepunkt mit der Shoa, dem Mord an sechs Millionen Jüdinnen*Juden. Heute lebt er in anderen Gewändern fort und ist in Deutschland, trotz seiner vorgeblichen Tabuisierung, noch immer brandgefährlich.
Die Schändungen jüdischer Friedhöfe, die Leugnung oder Relativierung der Shoa, verbale und körperliche Angriffe auf Jüdinnen*Juden oder auf Personen, die von Antisemit*innen als diese ausgemacht werden, all das ist deutscher Alltag.
Dass dabei oftmals versucht wird, den eigenen Antisemitismus zu verschleiern, indem man statt vom Judentum von Israel und statt von Jüdinnen*Juden von Zionist*innen spricht, ist nur ein weiterer Beleg für die gesellschaftliche Akzeptanz des Antisemitismus – zumindest, solange er sich als vermeintliches Eintreten für die Menschenrechte tarnt. Wo jedoch von „zionistische(n) Lobby-Gruppen und ihre(n) Millionen-Budgets“ gesprochen wird oder „Zeitungen und ihre Hetzkampagnen“ erdacht werden, wie im Aufruf zur diesjährigen Nakbatag-Demonstration, bedient man das uralte antijüdische Klischee vom hinterhältigen, welt-, medien- und finanzmarktbeherrschenden Juden.
Damit findet man auch an anderer Stelle schnell Freund*innen, und es verwundert nicht, dass in der Querfront der Schulterschluss für linke und (neu-)rechte Antisemit*innen möglich wurde. Dieses Denken wohnt jedoch nicht nur den für Verschwörungstheorien anfälligen Mahnwachen und Friedensdemonstrationen inne, sondern ist fest im Denken vieler Deutscher verankert, der gemeinsame Nenner liegt, in guter deutscher Tradition, im Antisemitismus, in der Feindschaft gegenüber Israel, respektive allem Jüdischen oder was als solches identifiziert wird.
Ob im Antiamerikanismus als pauschale Feindschaft gegen Globalisierung und Moderne oder in einer ressentimentgeladenen, verschwörungsideologischen „Kritik“ gegen beispielsweise die Familie Rothschild oder die FED (Federal Reserve Bank) als angebliche Lenker*innen und Gewinner*innen des Kapitalismus: das Feindbild der Querfront bleibt die Moderne.
Auch beim rechts-nationalistischen Umfeld von AfD, Pegida und Co. ebenso wie bei organisierten Neonazis werden die Rothschilds bemüht, wenn es darum geht zu erklären, wer hinter einer herbei fantasierten „Unterwanderung der Gesellschaft“ durch Geflüchtete steckt. Und obwohl man selbst im eigenen rassistischen Kampf gegen den Islam, auch im Judentum verankerte religiöse Pflichten wie die Beschneidung oder das rituelle Schächte verbieten möchte, versucht die AfD immer wieder, das Judentum und den Kampf gegen Antisemitismus zu instrumentalisieren. Während man also in der AfD den Kampf gegen Antisemitismus unter Muslimas*Muslimen nur aus einer rassistischen Motivation heraus führt, leugnet und versteckt man den eigenen Antisemitismus, der als fester Bestandteil in ihrem Deutschtum verankert ist. Der von Björn Höcke erklärte „Antagonismus“ von Christentum und Judentum passt dann nicht mehr zum gegen den Islam in Anschlag gebrachten, angeblichen „christlich-jüdischen Abendland“.
Doch auch die extreme Rechte, beispielsweise die Partei „Die Rechte“, die aus der verbotenen, militanten Nazikameradschaft „Nationaler Widerstand Dortmund“ hervorgegangen ist, verbreitet weiter ihre antisemitische Hetze. So betreibt Michael Brück neben seinen Aktivitäten im Dortmunder Stadtrat unter der Domain Antisem.it einen Onlineshop, sein Vorgänger bis 2015, Dennis Giemsch, forderte im Stadtrat die Zählung aller in Dortmund ansässigen Jüdinnen*Juden. Hakenkreuzschmierereien auf jüdischen Grabsteinen oder an jüdischen Institutionen sind neben körperlichen Übergriffen derweil tragische Normalität.
Auf außenpolitischer Ebene brüstet sich das deutsche Auswärtige Amt auf seiner Homepage damit, dass die Handelsbeziehungen mit dem Iran traditionell eng und „ca. 30 Prozent der industriellen Infrastruktur in Iran […] aus deutscher Produktion“ seien. Man ist „optimistisch, dass der bilaterale Handel bald wieder an Fahrt gewinnt“ seit die Sanktionen gegen das iranische Regime Anfang 2016 aufgehoben wurden. Der Grund für die Sanktionen war der Versuch Teherans sich atomar zu bewaffnen, das Kräfteverhältnis im Nahen Osten zu eigenen Gunsten zu verschieben und Israel einer ständigen Bedrohung auszusetzen.
Und während der Iran weiter an die Hizbollah liefert und unermüdlich die Menschenrechte mit Füßen tritt, kümmert sich die Bundesregierung lieber darum, wie die Felder unter dem islamistischen Despoten Ali Khamenei besser bestellt werden können und treibt eine Agrar-Kooperation weiter voran. Es scheint so, als hätte die Bundesregierung die Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran herbeigesehnt, um den Handel endlich wieder ausbauen zu können, koste es was wolle, sei es auch durch die Unterstützung eines nach Vernichtung strebenden antisemitischen Regimes, hierdurch wird Merkels „Staatsräson“ als Worthülse enttarnt.
Das alles lässt keinerlei Zweifel am antisemitischen Normalzustand in Deutschland, getragen von allen Teilen der Gesellschaft, als nach wie vor verbindendes Element der deutschen Ideologie.

Konsequenter Antifaschismus: immer und überall!

Der Kampf gegen diesen deutschen Normalzustand ist für uns als Antifaschist*innen nicht verhandelbar. Nicht nur am Al Quds-Tag, sondern auch an jedem anderen Tag des Jahres gilt es, sich jeglicher Form von Antisemitismus und Antizionismus entgegenzustellen. Antifaschismus bedeutet einzustehen für das Selbstverteidigungsrecht des Schutzraums von Jüdinnen*Juden, bedeutet Solidarität mit Israel gegen die tagtäglichen Vernichtungsdrohungen. Es gilt, eine emanzipatorische Kritik am politischen Islam und seinen Vertreter*innen zu formulieren. Ebenso an den Kooperationen mit diktatorischen Regimen wie dem Iran, an islamistischer Agitation in Deutschland und Europa, am Terror von Hamas, Hizbollah und dem so genannten Islamischen Staat. Antifaschismus heißt auch, sich all dem in den Weg zu stellen, ohne scheinheilige Zurückhaltung im Sinne einer angeblich größeren linken Sache. Dabei stehen wir ebenso an der Seite der Verfolgten und der Opfer des politischen Islam und der islamistischen Regime, die vor Ort ihr Leben für Menschenrechte und Meinungsfreiheit riskieren wie an der Seite derjenigen, die vor Unterdrückung und Terror nach Deutschland geflohen sind.
Solidarität mit Geflüchteten geht auch ohne die Vereinnahmung ihrer Kämpfe für antisemitische Hetze und ist besonders notwendig zu einer Zeit, in der bei Pegida und dem Rest des völkischen Mobs die rassistische Ideologie immer unverhohlener zu Tage tritt, in der Geflüchtetenunterkünfte brennen und die AfD in mittlerweile acht Landesparlamenten und dem Europaparlament vertreten ist. Egal aus welcher Ecke sie kamen – im Antisemitismus vereinen sich die reaktionären Kräfte und gehen auf in ihrer deutschen Ideologie.
Deutschland ist nicht die Lösung, Deutschland ist und bleibt das Problem und es gilt, dem rassistischen und antisemitischen Normalzustand den Kampf anzusagen.

In diesem Sinne:
Solidarität mit den von Antisemitismus Betroffenen!
Solidarität mit allen Geflüchteten!
Solidarität mit den emanzipatorischen Kräften im Iran!
Solidarität mit Israel!
Nieder mit Deutschland und seinen Antisemit*innen!
Nieder mit dem Patriarchat und LGBTIQ*-Feindlichkeit!
Nieder mit dem Holocaust-Leugner-Regime im Iran!
Nieder mit dem Al Quds-Tag!

Weitere Infos findet Ihr auf der Seite des Antifaschistischen Berliner Bündnis gegen den Al Quds-Tag 2016.